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oder Werkzeugkasten, um sich Aufwertungsdynamiken entgegen zu setzten:

Ich denke, die wichtigste Voraussetzung, um Gentrifizierungsprozessen etwas in den Weg zu stellen, ist Aufmerksamkeit und Aufklärung. Dafür ist zuallererst Wissen ein Grundstein. Wichtig ist zu verstehen: Was bedeutet Gentrifizierung eigentlich, wen betrifft es und wodurch werden Gentrifizierungsdynamiken hervorgerufen?

Für die Frage danach, was man gegen negativen Auswirkungen von Gentrifizierung tun kann, ist ein Gefühl von Nachbarschaft und einem Zuhause grundlegend. Es ist wichtig, soziale Räume zu schaffen, in denen Menschen sich begegnen, Gemeinschaft erleben und etwas teilen – z.B. ihren Alltag. Es geht dabei um Identität, Verbundenheit – ja Berührung und Lebensqualität. Denn ich glaube, wenn man diese spürt, dann möchte man es pflegen und schützen und bewahren, weil es so kostbar ist und Lebensqualität bringt.

Persönlich habe ich zum Beispiel gemerkt, wie schön es tatsächlich war, in den Wochen der Vorbereitung des Projektes, als ich in unbekannte Läden und Hinterhöfe im Viertel reinschneite und fremde Menschen getroffen und kennengelernt habe – meine Nachbarn, mit denen ich vorher in meinem täglichen Umfeld noch wenig Berührungspunkte hatte. Ich habe ihnen das Projekt erläutert und sie gefragt, ob sie Lust hätten mitzumachen. Es war ein schönes Geschenk, zu merken, dass wir etwas teilen und zu spüren, wie offen und neugierig sie sind und dass sie das Projekt gerne unterstützen.

Für diese kleinen Begegnungen und Momente bin ich dankbar, ohne dass es kitschig klingen soll, denn es hat ein Gefühl von Gemeinschaft, Solidarität und Verbundenheit gestärkt.

Was ein toller Moment es zum Beispiel war, als der Hausbesitzer aus Mazedonien, der mir seine Fensterscheiben für das Projekt zur Verfügung stellte, an einem Sonntag sah, wie ich mühevoll die uralte Schaufensterbeklebung entfernte und mir daraufhin wie selbstverständlich Strom verlegte und den Heißluftfön hielt, während wir über Fußball (wovon ich keine Ahnung habe), zu viel Arbeit, Dortmund und Heimat sprachen. Und dieser Moment ist nur eine der vielen schönen Begegnungen, die hinter den einzelnen Stationen stecken.

Ja, ich glaube, ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, Nachbarschaft und Wertschätzung ist das Fundament um sich gegen Gentrifizierungsdynamiken entgegen zu stellen, denn alleine kann man nicht viel erreichen.

Bei so starken Mechanismen wie Gentrifizierungsprozessen, muss man sich zusammenschließen, gemeinsam die Politik mit ins Boot holen, um sozialen Wohnraum zu halten und neuen zu schaffen, man muss laut und deutlich über Missstände und Ungleichverteilung in der Öffentlichkeit sprechen und auch alternative Wohnkonzepte wie Wohn-Genossenschaften in Erwägung ziehen.

Andrej Holm erläutert in dem Buch Wir bleiben Alle! Gentrifizierung - Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung (2013) drei kultureller Anti-Gentrification-Strategien:

  1. Strategie der Dislokation. Das würde bedeuten, Künstler_innen würden erst gar nicht in die ärmeren, aber gut gelegenen Viertel ziehen, sondern sich direkt in den Randbezirken, die nur sehr schwer aufzuwerten sind, ansiedeln – weitab von städtischen Hotspots, z.B. in industriell vorgefertigten Großsiedlungen. Allerdings gehören diese nur selten zu den bevorzugten Orten, auch da sie vom Publikum schlechter frequentiert werden und es dort noch schwieriger für Künstler_innen wäre, die oft schon in prekären Arbeitsverhältnissen leben, von ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Eine weitere Möglichkeit, Mechanismen kultureller Aufwertung entgegen zu wirken, wäre die Ansiedlung in bereits gentrifizierten Vierteln. Subkulturelle Aktivität in diesen Vierteln schließt sich allerdings in den meisten Fällen aus Gründen der Finanzierbarkeit direkt aus.

  1. Eine andere Strategie ist eine Kultur der Abschreckung (siehe auch Anti-Aufwertungskit von Es regnet Kaviar - hier Link). Dabei nutzen die Akteure Strategien der De-Attraktivierung und Imagebeschädigung, um so ein Investitionsrisiko darzustellen. „Es müssen sich Initiativen vor allem gegen zuzugswillige, innenstadtorientierte Mittelklassemilieus richten und Strategien entwickeln, um die eigene Wohngebiete mit einem möglichst schlechten Image zu versehen.“ (Holm 2013).
  2. Die Kultur des Widerstandes ist die dritte Strategie, bei der sich meiner Meinung nach jeder, den es betrifft, betreffen kann oder der sich solidarisieren will, einbringen kann – nicht nur Pioniere. Bei der Strategie geht es darum, einen Diskurs anzuregen, Öffentlichkeitsarbeit für das Thema zu leisten, laut und sichtbar zu sein, wie schon oben erwähnt, und einen Austausch mit der lokalen Politik zu schaffen, Banden zu bilden und Ideen und kreative Protestformen zu entwickeln.

„Statt sich in immer wiederkehrenden Diskussionen über die eigenen Pionierrolle in städtischen Aufwertungsprozessen den Kopf zu zerbrechen, wäre es hilfreicher, wenn Künstler_innen oder auch Hausbesetzer_innen sich öfter mal fragten, wie sie Stadtteilinitiativen und Nachbarschaftsorganisationen praktisch unterstützen können.“ (Holm 2013). Dabei geht es darum, die Kreativität und das künstlerische Potential der Pioniere zu nutzen, von der Gestaltung eines Flugblattes, bis hin zu Kunstprojekten, die das Thema provokant und fordernd in Frage stellen, wie I am a tool of Gentrification (hier Link), dem parasitären Penthouse (hier Link) oder diesem Projekt: Wir arbeiten für Gentrifizierung ehrenamtlich (hier Link) und Gentrifizierung Gratis (hier Link).

Eine Kultur des Widerstands scheint die wertvollste Strategie für Bewohner_innen zu sein. Solidarität mit den Pionieren und gemeinsame Mobilisierung und Entwicklung von kreativen Strategien für mehr Aufmerksamkeit, durch Aufklärung und dadurch, sich gemeinsam für das Recht auf Wohnen und das Recht für ein Zuhause einzusetzen.

Bildet Banden, seid laut, frech und sichtbar!

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(Foto: J.Banning)