Gibt es im Unionviertel die ersten Anzeichen von Gentrifizierung? Oder überhaupt Potential dafür? Wird sich das Viertel verändern oder ist es schon mitten im Wandel? Und welche Rolle spielt die Kunst dabei?

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Gentrifizierungsprozesse laufen meistens subtil, und in frühen Stadien oft sehr angenehm1 ab, so dass Anwohner und Betroffene oft vergessen zum richtigen Zeitpunkt nach potentiellen Auswirkungen zu fragen. Und schwups, dann ist es oft auch schnell zu spät. Denn die Aufwertung eines Viertels geht oft mit der Verdrängung der bisherigen Bewohnerschicht durch eine Wohlhabendere einher.

Deshalb gibt es dieses Kunst-Projekt „Wir arbeiten für Gentrifizierung ehrenamtlich“, dass sich mit den möglichen Auswirkungen von Gentrifizierung, auseinander setzt, sowie der Frage nach einem Ursprung für eine solche Veränderung. Dabei liegt bei diesem Projekt der Schwerpunkt auf der Gentrifizierung durch Pioniere2 – wenn Künstler, Kreative und Subkulturen der Immobilienwirtschaft unfreiwillig zuarbeiten, meistens gratis, mit viel Leidenschaft und echtem Engagement, indem sei ein Viertel aufwerten.

Irgendwann stand ich in meinem Atelier und wie ein Blitz fuhr es durch mich hindurch. Während ich durch das große Schaufenster meines Ateliers auf die Straße und die graue, wunderschöne, aber heruntergekommene Fassade gegenüber schaute, dachte ich: Shit, ich arbeite für Gentrifizierung ehrenamtlich.

Dieses Dilemma als Künstlerin, Impulsgeberin für Gentrifizierungsprozesse zu sein und selber Betroffene, nervte mich ab da tierisch. Ich fing an immer mehr zu dem Thema zu recherchieren. Und fragte mich provokant, ob Pioniere mitverantwortlich3 dafür sind, dass ursprüngliche Bewohner durch Aufwertung eines Viertels und folgender Verdrängung irgendwann aus ihren Vierteln ausziehen müssen, weil die Mieten steigen oder die Wohnungen gekündigt werden.

Als Tochter einer Raum- und Stadtplanerin und einem Architekten habe ich meine halbe Kindheit damit verbracht in fremden Städten, im Urlaub, durch bemerkenswerte Neubauviertel zu wandern, Betonfassaden zu bestaunen, Baulücken zu erforschen, Pflastersteine auf Plätzen zu erkunden, Räume zu fühlen und auf Baustellen zu spielen. Vor allem als Teenie fand ich das oft ziemlich nervig. Mittlerweile, weiß ich es zu schätzen, denn ich kann sehr feinfühlig Details im öffentlichen Raum wahrnehmen, von den falschen Waschbetonplatten auf dem öffentlichen Platz mit den fehlenden Bänken für Begegnungen, bis hin dazu, dass ich direkt unruhig werden, wenn ich an einem wunderschönen Altbau vorbei laufe in dem lieblose Plastikfenster eingesetzt wurden.

Deswegen behaupte ich, dass man im Union-Viertel ein Kribbeln spürt. Natürlich ist jedes Viertel immerzu in Bewegung, da sich alles ständig verändert. Aber hier im Union-Viertel stand ich an meinem Fenster und blickte auf die wunderschöne, graue Fassade des Hauses gegenüber und sah vor mir, wie in ein paar Jahren die Jugendstil Fassade gegenüber in Pastell Tönen schillern wird, ich sah einen großer Biosupermarkt, der wohl-situierten Akademieker nach Feierabend mit einem guten Gewissen versorgt, wie sich Bakfietse die Straße mit SUVs und dem ein oder anderen Elektro-Auto teilen, Blumenkästen vor den Fenstern und ein Hauch von frischem Croissant-Duft aus der französischen Patisserie nebenan wehte herüber.

Ist das übertrieben oder visionär? Ist das Wunsch oder Befürchtung? Wahrscheinlich von allem ein bisschen.

In den letzten Monaten wurden im Union-Viertel ganze Straßenzüge frisch saniert (zum Glück gehören viele dieser Wohnungen noch einer öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft), sehr viele der lang leerstehenden Ladenlokale wurden in den letzten Wochen neuvermietet, überall wird renoviert, immer mehr Kreative und Studenten ziehen in das Viertel. Aber spätestens wenn das Areal des ehemaligen Hoesch Geländes in den kommenden Jahren neu strukturiert wird, aktuell ist eine Machbarkeitsstudie für Smart-Rhino - ein großer Hoch-Schul-Campus, in Auftrag gegeben worden, wird sich das Viertel umfangreich wandeln. Und wenn der Zukunftsgarten der Internationalen Garten Ausstellung zu einem neuen Naherholungsgebiet und Park gewachsen ist, wird das Viertel wahrscheinlich einen anderen Charakter haben. Dann wird es vielleicht auch hinter der Dorstfelder Brücke neue pastellfarbene Anstriche an pittoresken Judgendstilfassaden geben. – Die Lage ist perfekt, so bahnhofsnah und zentral.

Das Union-Viertel hat ideale Vorraussetzungen für ein Viertel dass von Gentrifizierung betroffen ist. Bis vor kurzem gehörte es noch zu einem der dreizehn problematischen Sozialviertel in Dortmund, mittlerweile ist es schon offiziell ein Kreativ-Viertel mit einer eigenen Image-Kampagne und vielen öffentlichen Kunsträumen. Es hat einen großen Bestand an unsanierten Altbauwohnungen. Zudem liegt es sehr zentral und bahnhofsnah.

Laut Dr. C. Krajewski umfasst Gentrifizierung Altbauquartiere mit folgenden Merkmalen:

  • Bauliche Aufwertung (Gebäudesanierungen und Neubauten, Wohnumfeld- u. Infrastrukturverbesserungen),
  • Soziale Aufwertung (Zuzug von statushöherer Bevölkerung: v.a. Besserverdienende, höher Gebildete, z.B. Yuppies, Studierende),
  • Funktionale Aufwertung (Ansiedlung neuer Geschäfte u. Dienstleistungen, qualitative u. quantitative Angebotsausweitung),
  • Symbolische Aufwertung (‚positive‘ Kommunikation über die Gebiete, Medienpräsenz, Schaffung von Landmarks, hohe Akzeptanz bei Bewohnern und Besuchern).

(Quelle: Gentrification in zentrumsnahen Stadtquartieren, von Dr. Christian Krajewski, Uni-Münster)

Nach meiner Auffassung sind alle Bedingungen im Union-Viertel erfüllt.

Ich entschied mich eine künstlerische Arbeit über das Thema Gentrifizierung zu machen und die Thematik, oder Problematik (das gilt es zu erörtern), künstlerisch in den Fokus zu rücken, um frühzeitig, oder rechtzeitig, einen Diskurs zu öffnen. Die künstlerische Arbeit findet im im öffentlichen Raum statt, dort wo der Wandel zu erst sichtbar wird. Außerdem kann so jeder mitdenken und diskutieren, auch die Bewohner, die sich nicht regelmäßig in Kunsträumen aufhalten.

Erweiternd zu dem Kunstprojekt gibt es hier auf der Homepage einen Wissenspool. Der ist mir ein großes Herzensprojekt, denn ich wünsche mir, dass sich jeder der möchte über das Thema informieren kann, um sich ein eigenes und versiertes Bild zu machen. Außerdem soll er ermutigen zu handeln und sein Viertel nach eigenen Wünschen mit zu gestalten.

Persönlich sehe ich eine große Schönheit und Kraft darin, ein Problem, was durch Kunst hervorgerufen oder begünstigt werden kann, mit den selben Mitteln, also auf künstlerische Weise, zu hinterfragen. Dadurch entsteht eine schwingende und aufdringliche Meta-Ebene.

Kunst ist so kraftvoll und Kunst kann so viel. Kunst ist eine Sprache, die Sprachbarrieren überwinden kann. Sie kann Gefühle, die schwer zu artikulieren sind, in Bilder transferieren und sie so greifbarer machen. – Ich glaube Kunst ist eine Super-Power!

Deswegen heißt es auch an verschiedenen stellen im Projekt: Kunst schläft nie. Und Kunst kratzt. Denn wenn sie gut ist, ist sie sehr präsent. Dann lässt sie Sachen schwingen und vibrieren, kann provozieren, nerven, lieben und verstören und löst unvermeidlich Reaktionen aus.


  1. Man kann sich endlich Fair-Trade Kaffee im Recycling To-Go Becher mit Bio-Soja-Latte kaufen, in der Sonne in hippen Cafés und Restaurants veganes Trendgemüse essen, im Unverpacktladen einkaufen oder im türkischen Supermarkt gegenüber, sich durch Bars und Kunsträume treiben lassen und am eingesessenen Kiosk das passende Wegbier kaufen, lokal und billig oder angesagtes Craftbier? - We got it all. Der Zustand ist oft ziemlich schön und lässig.
  2. Pionier ist ein Fachbegriff aus der Soziologie, in diesem Kontext steht er für eine Gruppe aus Kreativen, Künstlern, Studenten, Subkulturen und Alternativen, oft mit einem hohen kulturellen aber geringfügigen ökonomischen Kapital.
  3. Spoiler: Ich verneine diese Antwort, denn ich denke Pioniere (Studenten, Künstler, Alternative) sind selber abhängig von günstigem Wohn- und Arbeitsraum. Den größten Einfluss auf Mechanismen um Gentrifizierung entgegen zu wirken hat die Politik. Allerdings denke ich, dass wir alle, die Politik sein können und mitgehalten können – dafür muss man allerdings seine Stimme nutzen. Deswegen lasst uns reden und diskutieren!